Freitag, 8. August 2008

Dekonstruktion einer Gattung

Im Genre des Detektivromans gibt es folgende Figur:
die des einsamen/schweigsamen/eigenwilligen, von seinen Kollegen aber zutiefst geschätzten, Polizisten.
Er hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten, dieser Polizist und leidet nun immer still vor sich hin.
Dieser Schicksalsschlag hat seine Leidensfähigkeit und seine Menschenkenntnis erweitert. Dies wiederum führt zu einer zutiefst menschelnden Perspektive und einem unbeugsamen Gerechtigkeitssinn, der niemand verschont. Das menschlich allzu Menschliche in den Nichtpolizisten-Figuren, die seinen Weg kreuzen verzeiht er.

ABER WEHE WENN DER GERECHTIGKEITSSINN DIESES POLIZISTEN GEPAART MIT ERINNERUNGEN AN DEN ERLITTENEN SCHICKSALSSCHLAG WIE SCHLAFENDE HUNDE ERWECKT WERDEN und dies von einer nicht polizistischen Figur im Krimi, dann darf der Polizist alle und jegliche Rechte des Verdächtigen oder einfach Zivilmenschen verletzen, auf sie herum trampeln; und wir als Leser nehmen es nicht nur billigend in Kauf - -wir erleben es als Erleichterung - -Katharsis. Denn es war ja gerade das menschliche Element im Polizisten, das den moralinsauren auf Demokratie basierenden Dienstvorschriften in das Gemächt trat. Das können wir doch alle nachvollziehen.

Genau.

Und wenn nun der geneigte Leser als vollkommen unschuldiger Passant in Wirklichkeit an einen tobenden Polizisten in Uniform trifft, der seine Rechte und Würde zerbröselt, so möge er sich doch bitte daran erinnern, dass das Genre jedem aber auch jedem Polizisten diesen Freibrief, sich so zu verhalten, ausgestellt hat - in den Augen der geneigten Medienöffentlichkeit, die mit Öffentlichkeit per se gleich zu setzen ist.

Denn natürlich haben wir alle Schicksalsschläge erlitten. Aber es ist eine Machtfrage, wer wem seinen Schicksalsschlag spüren lassen darf. Diese Machtfrage hat jene Gattung des Detektivromans ein für alle mal geklärt.

Heidi 2.0 meint:
Die Griechen hatten die Polis und das Trojanische Pferd und das Palimpsest.
Dafür hat die Moderne die Polizei mit fahrbarem Untersatz und Verlage. .

Aber auf meine Alm kommen nie Pferde hinauf. Eher Ziegen, Kühe und Packesel.
Und es gibt keine Trojanischen Packesel oder?

Die Wunde von Braun

Fassbinders Figur Maria Braun war in eigenen ironischen Worten

Meister der Verstellung, tagsüber der Handlanger des Kapitals und in den Nächten der Agent der werktätigen Massen.
Die Matahari des Wirtschaftswunders eben.



Was der “hippen” Gewerkschafterfigur, weniger störte als den trockenen Chef-Buchhalter in der Firma, in welcher die Schygulla/Braun Procura war,

Hannah Schygulla in Rainer Werner Fassbinders Film, “Die Ehe der Maria Braun”, kriegt am Ende ihren Mann zurück, der für sie ins Gefängnis ging. Sie hatte nämlich den Ami-Negersoldaten tot geschlagen mit dem sie was hatte, als der Gatte aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte und auch ganz schnell das Mischlingsbaby in ihrem Bauch abgetrieben, das sie mit dem Neger haben wollte, sie hatte ihn ja lieb.

Für den Gatten im Knast, machte sie etwas aus sich, damit er sich freuen konnte, wenn er raus kommen würde.Sie liebte ihn.

Nun zur Wunde von Braun:
In den allerletzten Szenen. Gatte und Gattin vereint im Wohnzimmer, kurz zuvor rührend bedacht mit großzügigem Erbe eines Gönners, tönt aus dem Radio eben jenes “Dohrr, Dohrr, Doohr” das wohl jeder Deutsche nun wenigstens aus dem Trailer von “Das Wunder von Bern kennt”. Fassbinders O'Ton nehme ich an.
Deutschland wurde Weltmeister im Fußball, die Schygulla geht darauf hin in die Küche um sich eine Kippe anzuzünden. Was Fassbinder aber uns vorher schon gezeigt hatte:die sonst so aufgeweckte Schygulla/Maria hatte das Gas am Herd vorher nicht so ganz gründlich zugedreht.
Es macht also BUMBUM und alles fliegt in die Luft.

Die von Trotta sagte in einem Interview nach dem Film. Die Figur der Braun stand bei Fassbinder für das Wirtschaftswunder, das nur aus Kälte bestand. Und alle Deutsche hätten ja eigentlich damals den Knast verdient. Diese Generation habe sich den Wirtschaftswunderknast geschaffen und sich in diesem virtuellen Gefängnis gut eingerichtet. Und waren Wirtschaftsweltmeister geworden, bevor sie Fussballweltmeister geworden sind. Aber der Mensch blieb auf der Strecke.
Die Chance nach dem Krieg, sich zu verändern, war weg, ging futsch. Und so ist die Figur des Wirtschaftswunders, die Braun im Moment der äußeren Erfüllung eben abgebrannt.

Diese Fassbindersche Sicht klingt ziemlich moralinsauer und herbeigequält.Außerdem - -was soll daran falsch sein, dass Menschen innerlich kaputt und äußerlich wohlhabend sind - - wenn sie es denn sind.

Und was soll man von Menschen erwarten, die massenhaft willige Helfer des Massenmords gewesen waren - -sollen sie die oft zitierte, in die tiefsten Tiefen nach innen emigrierte Restmenschlichkeit hervor kramen und gleichsam Trümmerfrauensibelchen werden, bei aller zupackender Härte und Berechnung?Nein, so etwas wäre wirklich zu grotesk..